Aus Krisen lernen

Jedes fünfte Schweizer Unternehmen glaubt, dass es in fünf Jahren über 50% seines Umsatzes mit neuen Produkten erzielen wird. Was bedeutet dies für Betriebe, die sich nicht mit der Krise abfinden, sondern gestärkt aus ihr hervorgehen wollen? Auch eine externe Krise zeigt Mängel in der internen Strategie auf: Man hätte zwar vielleicht nicht das Ausmass des Einbruchs voraussehen können, doch ein vorausschauendes Management muss auf markante Einbrüche vorbereitet sein, ohne gleichzeitig das langfristige Wachstum aus den Augen zu verlieren.

Es geht nicht um ein Zertifikat!

Für die Unternehmen stellt sich also gerade in der Krise die Frage nach der Befähigung des Managements zum strategischen Denken und Umsetzen. Gesucht sind qualifizierte Führungskräfte, die auch auf das Unerwartete vorbereitet sind, die Strategie von Taktik zu unterscheiden wissen und erfahren sind in der Umsetzung. Nur in schlagzeilenträchtigen Ausnahmefällen wird eine Geschäftsleitung während der Krise ausgetauscht – die wenigsten Betriebe können es sich leisten, die gesammelte Erfahrung in ihren obersten Gremien auszutauschen.

Trotzdem sind diesen Unternehmen die Hände nicht gebunden: Gerade das Top-Kader wird sich auch künftig immer mehr weiterbilden müssen, um gegen die Unwägbarkeiten der globalisierten Wirtschaft gewappnet zu sein. Dabei geht es nicht primär um die Erlangung eines Zertifikats, das die Auffrischung von theoretischem Wissen bescheinigt, sondern vielmehr um eine Erhöhung der strategischen Kompetenz und Erfahrung, auch von andern Industrien. Praxiswissen über Branchen hinweg kann und soll für diese Führungsstufe weitergegeben werden, damit dieses in das eigene Umfeld aufgenommen werden kann.

In der strategischen Arbeit ist es wie im Leben: Wir lernen aus Fehlern mehr als aus guten Entscheiden. Verständlicherweise sind die Betriebe nicht erpicht darauf, dass das Management allzu viele negative Erfahrungen im Unternehmen sammelt. Umso mehr suchen sie für ihre Führungspersönlichkeiten die Kombination aus strategischer Weiterbildung und praktischem Austausch. Im Vordergrund ist und bleibt aber das Bedürfnis nach der Befähigung der Geschäftsleitung.

Wie sieht denn der Markt für strategische Weiterbildung von Top-Leuten aus? Da tummeln sich die grossen internationalen Bildungsbrands mit (kommerziellen) Angeboten für dieses lukrative Segment, anderseits brillieren gerade diese grossen Anbieter mit Ausbildungsmodulen, die nur teilweise individualisiert werden können. Sie scheinen auf den ersten Blick attraktiv, weil ein grosser Wiedererkennungswert der Institution da ist, bieten neben Refreshers und Fallstudien auch standardisierte Methoden zur Strategieerarbeitung, aber sie gehen mehr auf die Marktwertüberlegungen der Teilnehmer ein als auf die Bedürfnisse der jeweiligen Betriebe.

Neben diesen Bildungsbrands gibt es auch Nischenanbieter, die die berufliche Weiterbildung ernst nehmen. Unter diesen gibt es solche, die sich ausschliesslich der ganzheitlichen Entwicklung der Führungskräfte zu kompetenten Strategieentwicklern und -umsetzern widmen. So, wie sich Unternehmen bei der Suche nach einem Outsourcing-Partner nicht nur auf die grossen Anbieter konzentrieren, sondern ebenfalls Nischenspezialisten evaluieren, müssten die Weiterbildungskonzepte der Top-Kader weniger auf spätere Vermittelbarkeit der entsendeten Personen schauen, als vor allem auf die Spezialisierung auf die sich dem Unternehmen stellenden Anforderungen – im Fall der Führungskräfte auf die Vermittlung von direkt umsetzbaren strategischen Kompetenzen.

Standardisierung mag in der (Grund-)Ausbildung von grossen Gruppen wie Studenten ein notwendiges Konzept sein; für die Weiterbildung der unter grossem Zeit- und Leistungsdruck stehenden Top-Leute führt sie lediglich zu zusätzlichem Zeitaufwand, da die erlernten Tools nach dem Absolvieren des Kurses in die eigene Realität übersetzt werden müssen. Am Sinn von Ausbildungsmodulen, die über den halben Globus verteilt angeboten werden, darf nicht nur aus ökologischen Überlegungen gezweifelt werden.

Die entsendenden Unternehmen meinen oft, dass sie den in die Weiterbildung geschickten Personen einen Mehrwert bieten, wenn sie sie in eine Institution schicken, deren Name möglichst bekannt ist. Die Inhalte und das Know-how-Vermittlungskonzept werden kaum evaluiert. Dabei wäre genau dies für die Betriebe von entscheidender Bedeutung, wenn die Strategiekompetenz des Managements erhöht werden soll.

Was macht den Mehrwert aus?

Man muss sich ausserdem die Frage stellen, inwiefern Fallstudien – seien sie nun von renommierten Business Schools erarbeitet oder sogenannte Live Cases – die Realität für die Unternehmen, die ihre Top-Kader weiterbilden lassen, widerspiegeln. Es mag zwar spannend sein, ein erfolgreiches Beispiel des Business Development von Nestlé oder Novartis durchzuspielen, doch ist der Bezug für 99% der Betriebe kaum relevant und die Erkenntnis nicht in die eigene Realität umsetzbar.

Vielmehr muss eine Business School gerade in diesen Zeiten den Unternehmen anbieten, die Stra tegie real und auf dem eigenen Geschäftsmodell aufbauend zu entwickeln. Erst wenn aber gleichzeitig das gegenseitige Lernen unter Führungskräften gefördert wird, das bewusst auch über die eigenen Branchenerfahrungen hinausgeht, kann von einem wirklichen Mehrwert in der Top-Kader-Weiterbildung gesprochen werden.

Somit sind Unternehmen speziell im Ausklang einer Krise gefordert, das Potenzial ihrer Führungskräfte zu strategischer Unternehmensführung mit internen und externen Hilfsmitteln zu optimieren, um sich für den nächsten Auf- oder Abschwung vorzubereiten.

 

Gelesen in der Handelszeitung
Von Luc Estapé

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